Die pandemiebedingten Einschränkungen von persönlichen Kontakten und Versammlungen, die uns nun schon weit über ein Jahr hinweg begleiten, stellen insbesondere die Wohnungsgenossenschaften vor ganz erhebliche Hürden und Herausforderungen. Die Rechtsform einer „eG“ ist stark geprägt von der Struktur eines Vereins. Das bedeutet, dass ihr „Gesellschafter-“ oder „Eigentümer“-Kreis, wie in einer Vereinsversammlung üblich, zahlenmäßig oftmals recht groß ist. Es kommen also sehr viele Menschen zusammen, will man eine Versammlung (GV/VV) in klassischer Weise, durch Zusammenkunft in einem geschlossenen Veranstaltungsraum, abhalten. Glücklicherweise hatte der Bundes-Gesetzgeber im März des Jahres 2020 zahlreiche alternative Möglichkeiten einer Versammlungsdurchführung jenseits einer Präsenzveranstaltung aufgezeigt. Über den Umstand, dass an diesen gesetzlichen Hilfestellungen viel Kritik geübt wurde, hatten wir ausführlich berichtet.

Kulminiert ist diese unschöne (und aus unserer Sicht auch unberechtigte) Tendenz durch mehrere gerichtliche Entscheidungen, die im Rahmen von Registereintragungen entstanden waren (OLG Naumburg vom 10.11.2020, OLG Karlsruhe vom 26.03.2021, OLG Jena vom 27.05.2021; da in Registerangelegenheiten die „weitere Beschwerde-Instanz“ das OLG ist, handelt es sich um OLG-Entscheidungen, allerdings im Wege eines Beschlusses, und nicht eines Urteils). Der Bundesgesetzgeber nimmt aus diesem Grund, insbesondere auf Initiative des Bundesverbands GdW und der in ihm zusammengeschlossenen regionalen Verbände, eine gesetzliche Klarstellung zu der an seiner Hilfestellung geübten Kritik vor. Über den aktuellen Stand hatten wir berichtet. Umso erfreulicher ist es, dass nun ein Urteil des LG Bayreuth vorliegt, das sich mit zentralen Fragen der am COVMG des Bundes geübten Kritik beschäftigt, und dieser letztlich den Boden entzieht. Das Urteil ist durch eine unserer Mitgliedsgenossenschaften erstritten worden.

Im entschiedenen Fall ging es schwerpunktmäßig um die Feststellung der Nichtigkeit einer Wahl zum Aufsichtsrat. Die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder durch die Vertreterversammlung war in einem schriftlichen Verfahren mit vorgeschalteter virtueller Diskussionsphase durchgeführt worden. Ein Mitglied des Aufsichtsrats machte die Nichtigkeit der Wahl vor dem LG Bayreuth gerichtlich geltend.

Das LG Bayreuth wies die Klage auf Feststellung der Nichtigkeit der Aufsichtsratswahl in vollem Umfang ab (LG Bayreuth vom 16.06.2021 (Az. 2 HK O 42/20). Hierzu stellte das LG Bayreuth weiter im Wesentlichen fest:

1.
Der Vorstand habe ein gesetzliches Recht, eine Vertreterversammlung einzuberufen. Hierbei sei es unbeachtlich, dass nach der geltenden Satzung „für den Regelfall“ einer Einberufung der Vertreterversammlung der Vorsitzende des Aufsichtsrats zur Einberufung bestimmt ist.

2.
Der Vorstand könne von seinem Einberufungsrecht auch dann Gebrauch machen, wenn er im Fall eines zweigliedrigen Vorstands nur noch aus einer einzigen Person besteht (im Fall war das andere Vorstandsmitglied vorher zurückgetreten). Das verbleibende Vorstandsmitglied hat in einer solchen Fallgestaltung Vertretungsmacht für und gegen die Genossenschaft, und zwar auch dann, wenn die Satzung das Zusammenwirken beider Vorstandsmitglieder für eine wirksame Vertretung der Genossenschaft nach außen voraussetzt. Grundlage dieser Abweichung vom Normalfall ist das „Covid-Maßnahmengesetz“ (COVMG) vom März 2020. Hiernach ist eine zahlenmäßige Unterbesetzung der Organe für zulässig erklärt worden. Und hieraus folgt mittelbar auch die Alleinvertretungsmacht des verbleibenden Vorstandsmitglieds (dies war dem Bundes-Gesetzgeber so selbstverständlich, dass er eine ausdrückliche Regelung für überflüssig hielt und auch im nunmehr verabschiedeten klarstellenden Gesetz nicht darauf eingegangen ist).

3.
Ein „gesonderter Beschluss“ des allein verbliebenen Vorstandsmitglieds sei im Rahmen der Einberufung nicht erforderlich. Dieser sei in Form des „einseitigen Willensentschlusses“ in der Tatsache der Einberufung der Vertreterversammlung vielmehr schon enthalten gewesen.

4.
Die Organstellung eines Vorstandsmitglieds sei von dem Anstellungsvertrag zu trennen. Eine Amtsniederlegung wirke sofort und sei (anders als der Ausspruch einer Kündigung des Vertragsverhältnisses) an keine Frist gebunden. Eine Amtsniederlegung sei auch ohne das Vorliegen eines wichtigen Grundes wirksam. Die Verlängerung der Amtszeiten durch das COVMG stehe einer Amtsniederlegung nicht entgegen. Die Verlängerung der Amtszeit beträfe nur das Ablaufen der „regulären“ Amtszeit, übrigens auch nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift.

5.
Die Bezeichnung der gesamten Vorgehensweise im schriftlichen Verfahren mit „virtuellen Vertreterversammlung im schriftlichen Umlaufverfahren“ begründe keine Nichtigkeit. Dieser Begriff sei schon deshalb „nicht vollkommen irreführend“, da im Vorfeld ein virtuelles Vertreterportal mit Informationen für die Vertreter im Internet eingerichtet wurde. Es sei, so das Gericht, den Vertretern mit dem Einladungsschreiben mitgeteilt worden, dass alle Vertreter über die eingegangenen Fragen und Antworten mit E-Mail auf der Website im Vertreterbereich informiert werden und auch darüber berichtet werde, ob in der Genossenschaft Anträge und Vorschläge für die Wahl zum Aufsichtsrat eingegangen seien. Zudem sei alleine die Bezeichnung, selbst wenn sie inkorrekt wäre, nicht geeignet, die Nichtigkeit des gefassten Beschlusses zu begründen.

6.
Trotz aller Streitigkeiten über die Reichweite des COVMG und der neueren Möglichkeit im Genossenschaftsgesetz (§ 43 Abs.7), eine schriftliche Beschlussfassung per Satzungsgrundlage auch außerhalb von Pandemie-Zeiten zu ermöglichen, sei im COVMG ausdrücklich eine „schriftliche Beschlussfassung“ vorgesehen. Diesem Umstand sei zu entnehmen, dass die schriftliche Beschlussfassung als solche möglich ist, aber auch, dass diese unabhängig von einer Vertreterversammlung erfolgen könne.

7.
Die Niederschrift über den Verlauf einer Vertreterversammlung und die dort gefundenen Ergebnisse erfülle eine Beweisfunktion. Ihr komme aber keine Bedeutung für die Rechtswirksamkeit von Beschlüssen zu, anders als die zwingend erforderliche „Verkündung“ der Beschluss- und Abstimmungsergebnisse, die vorliegend aber erfolgt sei.

Anmerkung
Das – bislang noch nicht rechtskräftige – Urteil des LG Bayreuth bringt zu einigen Streitpunkten eine erfreuliche Klarheit mit sich, die nun für ein zumindest höheres Maß an Rechtssicherheit sorgen wird.

Das Gericht bestätigt auch unsere grundlegende Sichtweise und Bewertung des COVMG, sowie der anderen Rechtsgrundsätze, die seit jeher zu General- und Vertreterversammlungen entwickelt worden waren und daher die Leitlinien unserer Beratung darstellen. Dass die von Teilen der Fachliteratur und durch die genannten Oberlandesgerichte am COVMG geübte Kritik aus der hier vertretenen Sicht schlechterdings nicht nachvollziehbar ist, soll ohne weitere inhaltliche Auseinandersetzung an dieser Stelle nur noch zur Abrundung erwähnt werden.